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23.02.2014 / Verbundenheit im Leiden, statt im Weiterstreben?

Veröffentlicht am 23.02.2014

Menschen, die mir näher kommen, sagen, dass sie sich sehr wünschen, dass ich mich aus meinem eigenen vergangenen Erleben „mehr“ mitteilen würde - das würde zu mehr Verbundenheit zwischen uns führen, wenn sie wirklich wissen würden, was auch ich alles bereits durchgemacht habe. Das wissen sie nicht, da ich sehr wenig detailliert aus meiner Vergangenheit erzählen würde, als ob ich keine „Probleme“ hatte oder hätte. Das würde mich unnahbar machen und sie würden sich dadurch aus meinem Leben ausgeschlossen fühlen. Mein eigenes Gefühl dabei ist, dass dieser Wunsch eigentlich so zu übersetzen wäre: [wir möchten uns vergewissern, dass du vergleichbaren Irrwegen begangen bist und ähnliche wenn nicht die gleichen Fehler gemacht hast – so würden wir dich nicht als „besser“ betrachten müssen und uns nicht mehr „unterlegen“ fühlen, sondern gleichwertig, so wäre das, was du sagst, für uns fassbar und berechenbar und keine Unbekannte mehr … denn, wer bist du schon, um uns das zu sagen, was du uns sagst?]

Klar ist das nur meine ganz subjektive Wahrnehmung, aber wenn sie auch nur ansatzweise stimmen würde (und die Menschen die zu mir sowas sagen gibt es wirklich), dann stellt sich mir sofort die Frage: Warum und gegenüber wem „unterlegen“ fühlen? Was ist denn bitte schön „besser“ und was „schlechter“? Wer und nach welchen Maßstäbe vermag dies entscheiden? Wer muss  ein Mensch sein, um einem anderen Mensch aus seiner Erfahrung mitteilen zu dürfen? Wie viel und welche Erfahrung muss ein Mensch „nachweisen“, um für das, was er sagt, „Glaubwürdigkeit“ zu verdienen? Das Leben – das ist meine bisherige Erfahrung - wenn wir es mit dem Blick nach vorne leben, ist nicht wirklich berechenbar und in der Tat eine Unbekannte, deren Antlitz wir dann erkennen, wenn wir es erst erleben. Dabei hat das, was mal gewesen ist, für das Leben im Jetzt  nur den Wert den ich der jeweiligen Erinnerung beimesse – nicht mehr und nicht weniger. Die „Menge“ an Erfahrung und die relativ betrachtet vergangene Zeit spielen dabei eine untergeordnete bis sogar keine Rolle – ich kann mich Jahre lang im Kreis gedreht haben und dabei keine andere Erkenntnis gewonnen haben, als die des „sich im Kreis Drehens“ … Ich kann jedoch auch, in einem Augenblinzeln etwas wirklich (auch wenn nur für mich) so fassen, dass ich danach, aufgrund dieser Erkenntnis mein Leben grundsätzlich (auch wenn nur innerlich) verändere. Wer kann, außer mir, darüber entscheiden, ob das, was ich erfahren und erlebt habe, ein oder kein Wert für mein eigenes Dasein haben soll?

Kann es sein, dass dieser Wunsch nach „Ähnlichkeit“ tatsächlich aus einem (sozial)systembedingten verkümmerten Selbstwertgefühl entsteht, das tief in unserer Gesellschaft verankert ist und das wir uns bereits in der Kindheit anerziehen lassen haben? Dass wir Menschen uns so sehr daran gewöhnt haben „Verbindung“ erst dadurch zu „verstehen“ und manchmal sogar zu erspüren, in dem wir uns gegenseitig bemitleiden? In dem wir uns erst dann verbunden fühlen, wenn wir quasi „in der gleichen Sch… (schweren Situation) stecken“? In dem wir unsere „Gleichheit“ erst dann empfinden, wenn wir uns „sicher“ sein können, dass es „keiner (von uns) besser ist“? Was auch immer wir in dem Moment als „besser“ betrachten? Das wir uns „wohler fühlen“ in dem wir uns einander vorrangig unsere Leidensgeschichten aus der Vergangenheit immer wieder erzählen und somit uns damit stets gegenseitig identifizieren wollen, statt uns gegenseitig die Aufmerksamkeit auf das mögliche Neue zu lenken, auf die mögliche positive Entwicklung, auf die mögliche Veränderung? Dass wir, aus einem merkwürdigen, gesellschaftlich anerzogenen Ohnmachtsgefühl, unbewusst dafür sorgen, dass es „keiner schafft“ (oder es schaffen könnte) und so (nach meiner Empfindung) für eine ungesunde „Nivellierung“ der Charaktere sorgen wollen? Dass wir den uns nahe lebenden Menschen, den Menschen die aus gleichen Verhältnisse geboren sind und mit uns gleiche Zeit und gleichen Raum teilen, erst mal grundsätzlich alles absprechen was wir auf der anderen Seite anderen Menschen, die uns fern sind, von den wir nur gehört oder gelesen haben, sehr gerne zutrauen und glauben?

Warum würden wir das tun wollen? Und wenn wir auf diesem Grund-Misstrauen so darauf bestehen, wer/was hat uns das beigebracht? Wer hat ein Interesse daran, dass wir uns gegenseitig das Gute nicht zutrauen? Warum ist es meist so schwer zu „glauben“, dass irgendeiner aus unserer Mitte für sich einen Weg gefunden hat und im Wohlgefühl nach seiner eigenen Vervollkommnung strebt? Warum ist es uns lieber zu „glauben“, dass alle um uns herum „es auch nicht besser wissen können“? Und, dass es etwas „besonderes“ braucht, was am besten auch weit weg von uns und möglichst scheinbar unerreichbar ist, wenn es „gut und wertvoll“ sein soll?

Ist es das so vielleicht weil, wenn wir es akzeptieren würden, dass es eine Weiterentwicklung gleich neben uns  geben kann und dass die eigenen Leidensgeschichten keinen anderen Wert haben, als der den wir ihnen beimessen, dass dadurch wir selbst aus unserer Komfortzone herausgerissen werden könnten? Dass wir erkennen müssten, dass die Erfahrung, dass es stets weitergehen kann und das Leben eine stetige Veränderung ist, voller Chancen und Erkenntnisse die uns weiterbringen können, eine Erfahrung ist die wirklich jedem Mensch in seinem unmittelbar nahen Lebensraum zuteilwerden kann? Dass dadurch, womöglich, wir zugeben müssten, dass es keine Ausreden mehr geben könnte, warum wir uns mit uns selber und unserer Umwelt nicht wirklich beschäftigen wollen? Dass wir dadurch gezwungen werden könnten, tatsächlich die Verantwortung  für unser Leben und für die Konsequenzen unseres Denkens und Handelns zu übernehmen ?