Das professionelle Coaching und die professionelle Psychotherapie scheinen, meiner Empfindung nach, den Menschen zu vereinsamen. Der Coach/Psychotherapeut, im marktwirtschaftlichen Sinne, lebt tatsächlich davon, dass Menschen auf seine Hilfe angewiesen sind – je mehr Menschen zu ihm kommen (im Rahmen seiner Zeitverfügung und Kapazität), desto besser geht es ihm aus wirtschaftlicher Sicht. Die Menschen, die einen Coach/Therapeuten aufsuchen, sind jedoch (auch wenn meist unbewusst) vor allem auf der Suche nach einem aufmerksamen Zuhörer – mit anderen Worten: es wird nach einem Menschen gesucht der im Stande ist, einem seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen und zumindest den Anschein gibt, die erzählten Situationen und deren Verwicklungen ernst zu nehmen. Der Coach und der Psychotherapeut leisten in diesem Sinne, auch wenn unterschiedlichen Ansätze folgend, im Grunde die selbe Heil-Arbeit. Auch wenn das nur gegen Bezahlung geschieht und es als Dienstleistung im Branchenverzeichnis erfasst wird, ein/e Coaching/Psychotherapie ist heutzutage für viele Menschen der einzige Ersatz für die fehlende soziale Bindung zu einer Gemeinschaft geblieben.
Eine Mangelerscheinung dieses Palliativs ist jedoch, dass zwischen einem Coach und all die Menschen die er betreut zu keinen wirklichen persönlichen Beziehungen kommen kann. Zum einen verbietet einem Coach seine professionelle Ethik eine persönliche Beziehung zu einem „Klient“ zu unterhalten, da der Coach dadurch in Gefahr sei seine „Objektivität“ zu verlieren, zum anderen wäre für einen erfolgreichen Coach physikalisch und psychisch gar nicht möglich mit all seinen „Klienten“ eine wahrhafte persönliche Beziehung einzugehen. Das alles führt systembedingt zwangsläufig dazu, dass bei der Inanspruchnahme einer Psychotherapie sich in leider zu vielen Fällen (glücklicherweise nicht in allen) nur um den „Thekenkontakt“ zwischen „Verkäufer“ und „Kunde“ handelt – eine reine Geschäftsbeziehung, wie der Kauf einer Tablette.
Des Weiteren, durch die Krankenkassenkarte verschleierte „Bezahlung“ der in Anspruch genommenen „Dienstleistung“ vergessen viele der „Klienten“, dass für den Coach/Psychotherapeuten, wie rein seine innere Absicht auch sein mag (und es sind viele Psychotherapeuten, deren Absicht nachweislich rein ist), die Interaktion mit einem „Klienten“ nur ein „Auftrag“ ist, der nach bestem Wissen und Gewissen ausgeführt werden soll. In gewisser Weise eine „Reparatur“ durch eine „Meisterwerkstatt“, wodurch die Psyche des Klienten wieder „soweit in Ordnung“ gebracht werden soll – das will bedeuten: in den von der Allgemeinheit als „Ordnung“ betrachteten Zustand – sodass dieser sein Leben weiter führen kann, ohne für sich und die Allgemeinheit zu einer Gefahr zu werden. Wirtschaftlich gesehen, je mehr von diesen Aufträgen ein Coach/Psychotherapeut effektiv ausführen kann, also je effizienter, desto erfolgreicher ist er. Im Umkehrschluss dagegen, wenn es keine Menschen geben würde, die Klienten werden müssen, können oder würden, dann würde der Coach, marktwirtschaftlich gesehen, schlichtweg verhungern müssen, da sein „Geschäft“ seinen Lebensunterhalt nicht mehr abwerfen würde. Denn unglücklicherweise ist systembedingt gerade der psychisch instabile Mensch, nicht der Gesunde, der dafür sorgt, dass ein Coach einen Arbeitsplatz hat, der sein Überleben sichert.
In diesem Kontext stellt es sich für mich die Frage, in wie fern ein Coach/Psychotherapeut tatsächlich an der wirklichen Genesung seiner „Klienten“ interessiert sein kann, wenn gerade der Zustand der „Unordnung“ seiner „Klienten“ ist es, der ihn und seine Familie ernährt?
Heutzutage ist der Beruf des Coaches/Psychotherapeuten sowohl sehr verbreitet, als auch sehr gefragt – anscheinend gibt es stets Menschen die zu „Klienten“ werden, da der allgemeine persönliche Zustand relativ zu der Anforderungen der Gesellschaft als einer der Unordnung empfunden wird. Historisch gesehen gibt es die „spezielle Betreuung“ psychologischer und seelischer Krankheiten in dieser Form seit relativ kurzer Zeit. Als es noch keine spezialisierte Psychologen, Psychotherapeuten und Coaches gegeben hat, hatte der Mensch in seinem Leben mehr direkten Kontakt zu anderen Menschen gehabt, die seine Freunde und Verbündete, oder gar seine Feinde waren und mit ihm zusammen eine Gemeinschaft bildeten. Im schlimmsten Fall hatte der Mensch mit einer „Seelensorge“ einen „Mann Gottes“ (oder auch eine Frau – siehe auch Schamane/Medizinmann/-frau) aufgesucht, dem/r er sich anvertrauen konnte, der/die ihm zugehört hatte und ihm mit „weisem“ Rat und „Medizin“ unterstützte. Diese Menschen, auch die Repräsentanten einer Kirche nicht, waren keine Psychologen/Psychotherapeuten/Coaches im heutigen Sinne – sie waren jedoch für das „sich Aussprechen“ eines Gemeindemitglied oder nahe stehenden Menschen einfach da. Menschen haben sich in früheren Zeiten einfach mehr gegenseitig zugehört und meist ohne Worte sich sehr geholfen in dem sie einfach für einander präsent und DA waren.
Ich habe das Gefühl in einer Welt zu leben, in der es normal geworden ist „Probleme“ zu haben, für die Lösung deren Leistungen von Coaches und Psychotherapeuten in Anspruch genommen werden müssen. Dabei schätze ich die Leistung von Coaches und Psychotherapeuten als sehr wertvoll und nach wie vor als ein wichtiger Beitrag zur Heilung unserer Gesellschaft. Menschen die sich zu dieser Tätigkeiten berufen fühlen, besitzen besondere Fähigkeiten und haben meist einen impliziten inneren Wunsch zum Wohlbefinden ihrer Umgebung aktiv beizutragen und viele von ihnen gehen vorbildlich den Weg zur Erfüllung dieses Auftrags.
Es scheint mir allerdings sehr merkwürdig zu sein, dass diese Menschen, die zur Heilung verhelfen sollen, davon leben müssen, dass es die „Probleme“ und „Krankheiten“ gibt, unter denen die „Klienten“ leiden, die sie dann aufsuchen. Und dieser Zustand wird nicht besser, offensichtlich, denn es braucht anscheinend immer mehr Coaches und Psychotherapeuten, die sich um das Zurechtrücken der „Klienten“ kümmern müssen. Es werden an fast jeder Ecke Coaching- und Psychotherapie-Leistungen angeboten und in Anspruch genommen – den Menschen geht es offensichtlich nicht besser, sondern immer „unordentlicher“ … Die „seelische Probleme“ unserer Gesellschaft werden von vielen des Geschäftes wegen nur oberflächlich und hauptsächlich palliativ „behandelt“ und werden dadurch nicht weniger, sondern immer mehr …
Wir leben heute in einer Welt von einsamen „Klienten“, von Menschen die sich innerlich nichts anderes wünschen, als dass ihnen wirklich zugehört wird. Komisch: jeder von uns weiß es und trotzdem hören die wenige von uns wirklich einem anderen zu. Denn sogar die Coaches und Psychotherapeuten gehen zum Coaching und zur Therapie und sind somit die „Klienten“ anderer Coaches und Therapeuten. Ein im Sinne der Marktwirtschaft in sich geschlossenen „Wirtschaftskreis“.
Ich frage mich ernsthaft: Ist dieser in sich geschlossener (Wirtschafts-)Kreis auch für das Leben und für die Heilung SINN-voll? Vielleicht brauchen Menschen einfach nur mehr wahre Freunde, die ihnen ihre ungeteilte Aufmerksamkeit widmen, ihnen wirklich zuhören und dann danach auch persönlich DA sind, als Gemeinschaft die unterstützt, Gemeinschaft der ein Mensch sich zugehörig fühlt und in der jeder Mensch sich WOHL fühlt? Vielleicht würden damit auch die „Probleme“, die stets palliativ „therapiert“ werden, von sich aus verschwinden?